April 2018
Gleitschirmspringen
Ein Wunsch, welcher ich mir schon lange erfüllen wollte, war, einmal aus einem Flugzeug springen zu können. Mit Fallschirm, wohlgemerkt! Für mich brauchte es dafür einen sehr grossen Überzeugungswillen, denn ich leide an Höhenangst. Das ist nicht dasselbe wie Flugangst; damit habe ich kein Problem.
Wenn ich auf einem Turm, oder Klippe stehe, bekomme ich ein extrem beklemmendes Gefühl. Je höher ich bin, desto schlimmer wird es. Nur jemand, der dieses Gefühl kennt, kann dies auch nachvollziehen. Es ist absolut irrational und ich ärgere mich sehr über diese Phobie. Deshalb nutze ich jede Gelegenheit, die sich mir bietet, um mir dies abzugewöhnen. Bis jetzt leider ohne Erfolg.
Im Flugzeug wiederum besteht diese Angst nicht. Sobald ich den Kontakt mit dem Boden verloren habe, geht es mir gut. Es ist mir sehr wohl bewusst, dass dies mit Logik nicht zu erklären ist.
Wenn ich nun aber daran denke, dass während des Fluges die Türe geöffnet, und ich mich anschliessend in die Leere stürzen sollte, dann wird es mir doch auch bei dieser Vorstellung etwas “mulmig” zumute.
Den Sprung wollte ich aber nicht durchführen, um mich dieser Angst zu stellen -dafür gibt es wesentlich einfachere und auch günstigere Optionen-, sondern ich wollte einmal das Gefühl des „Selberfliegens“ ohne dem dazu gehörenden Fluggerät erleben. Rein physiologisch ist der Mensch dazu bekanntlich nicht in der Lage und jeder Flugversuch ist seit Menschengedenken immer von sehr kurzer Dauer gewesen. Bis vor etwas mehr als hundert Jahren ist ein solches Unterfangen auch zu beinahe 100% immer ein einmaliges Unterfangen der jeweiligen Versuchsperson gewesen. Erst mit der Erfindung des Flugzeugs und des Fallschirms wurde es möglich, aus grossen Höhen fallen zu können, den Flug (oder Fall) so lange als möglich auszukosten und trotzdem unbeschadet wieder zu landen. Sich auf die Erde fallen zu lassen und durch die Wolken zu tauchen, muss unglaublich faszinierend sein.
Schon als Kind stellte ich mir immer wieder vor, wie es wohl wäre, auf einer weissen Quellwolke zu sitzen und auf die Erde herunterschauen zu können. Unbestritten, dies eine sehr kindliche und naive Vorstellung, die nicht umzusetzen ist, trotzdem gefällt mir dieses Bild aber auch heute noch. Mit einem Fallschirmsprung kommt man dieser Vorstellung wohl doch relativ nahe.
Es gibt bekanntlich zwei Methoden für den Sprung; alleine oder zu zweit an einem Schirm. Ein Solosprung ist bestimmt noch eindrücklicher, aber dazu fehlte mir -ich gebe es unumwunden zu- nun wirklich der Mut. Es war für mich von Anfang an klar, dass ich dieses Abenteuer nur mit einem erfahrenen Springer durchführen wollte.
Jetzt stellte sich die Frage, wo ich das machen wollte. Es gab Optionen in Deutschland, im Berner Oberland und im Tessin.
Wenn ich denn schon springen würde, dann wollte ich dies vor einem schönen Panorama durchführen und da ich noch nie den PC-6 Turbo Porter geflogen bin, wollte ich den Sprung auch in einer solchen Maschine durchführen.
Somit schied Deutschland und das Berner Oberland (sie hatten keinen Turbo Porter) aus und ich buchte im Tessin.
Wegen schlechten Wetters und Flugplatzfestveranstaltungen musste der Termin gleich mehrmals (insgesamt fünf Mal) verschoben werden. Deshalb fand der Sprung erst im April 2018 anstatt dem geplanten Frühling 2017 statt.
Meine Partnerin (welche mir den Sprung geschenkt hatte) und ich fuhren einen Tag früher nach Locarno. Auch jetzt war das Wetter nicht besonders gut. Es hing eine mehr oder weniger geschlossene Wolkendecke über dem Tessin auf ca. 2000 Meter über Meer, aber es wurde geflogen und auch gesprungen. Also galt es nun ernst, und wir begaben uns zum Flugplatz.
April 2018
Briefing
Mein Instruktor war ein sehr sympathischer und engagierter Betreuer. Er erklärte mir im Detail, was, wie, wann abläuft und hörte sich auch an, welche Bedenken ich hatte. Unumwunden gab ich zu, dass es mir bei dem Abenteuer nicht ganz wohl zumute sei und dies mein allererster Sprung sein würde.
Das Briefing führte er dementsprechend detailliert und geduldig mit mir aus, wofür ich dankbar war.
Anschliessend wollte er wissen, ob ich noch Fragen und/oder Wünsche hätte. Das hatte ich tatsächlich, denn ich wollte den Moment vor dem Sprung, wenn möglich, ein wenig auskosten. Soll heissen, wenn sich die Türe des Flugzeugs geöffnet hatte, wollte ich nicht sofort springen, sondern in die Leere schauen. Schon nur bei dem Gedanken daran, zog sich bei mir alles zusammen, aber das musste ich einfach tun. Ich werde vermutlich keine zweite Gelegenheit mehr haben, dies noch einmal zu versuchen.
Er war froh, dass ich diesen Wunsch geäussert hatte, denn normalerweise hätte er sich bei mir von hinten eingeklinkt, meinen Kopf nach hinten gezogen, damit ich mich beim Springen nicht verletze. Das heisst, ich hätte nur die Flügelunterseite gesehen (PC-6 sind Schulterdecker) und dann wären wir auch schon im Fall gewesen.
Er versprach mir deshalb, dies nicht zu tun. Stattdessen würde er sich bei mir einklinken, aufstehen, sich an der Türe festhalten und anschliessend herauslehnen (mich vorne eingehakt) damit ich eine uneingeschränkte Sicht auf das Panorama hätte. Das klang grossartig und ich war sehr gespannt, was da auf mich zukam!
Der Flug
Das Einsteigen gestaltete sich wesentlich schwerer als ich dachte. Die Kabinenhöhe ist sehr tief und die einzige Sitzmöglichkeit waren zwei Holzbänke in Flugrichtung. Zudem stiegen noch weitere Springer mit ein -Insgesamt waren wir 7 Personen -wenn ich mich recht erinnere- und der Platz wurde immer knapper. Um die anderen Springer nicht aufzuhalten äusserte ich den Wunsch, als letzter zu gehen, damit ich die routinierten Sportler nicht behindern würde und ich mir die Zeit nehmen konnte, die ich brauchte, ohne das Gefühl bekommen, mich beeilen zu müssen.
Die Flugleistungen der PC-6 sind ausserordentlich beeindruckend. Obwohl ich diese Maschine schon oft starten, fliegen und landen gesehen habe, erstaunt es doch immer wieder, mit welch kurzer Piste das Flugzeug auskommen kann. Wir waren bis unters Dach beladen und trotzdem hob die Maschine nach nur wenigen Sekunden Rollstrecke ab.
Wir stiegen kontinuierlich in die Höhe und durchbrachen bald die Wolkendecke. Das Ziel war 5000 Meter über Meer. Als wir unsere Sprunghöhe erreichten, öffnete eine kleine, ältere Dame (ich schätzte sie so um die 60 Jahre) die Tür und sprang umgehend ohne zu zögern mit ihrem Partner aus dem Flugzeug. Ich war schwer beeindruckt! Hätte ich diese Frau auf der Strasse getroffen, ich hätte ihr das nie zugetraut!
Als die Türe nun offen war „beschlich“ mich wieder das unangenehme Gefühl der Höhenangst. Die Türe war nun offen! Es war nichts Schützendes mehr zwischen mir und dem Abgrund da. Zudem war ich noch nicht mit meinem Instruktor eingeklinkt und sass ungesichert auf meinem Bänkchen und stellte mir vor, was jetzt passieren würde, wenn der Pilot auf die witzige Idee käme, eine kleine Fassrolle im Uhrzeigersinn zu drehen. Ich würde sofort durch die offene Tür in einem einmaligen 5000 Meter Sturz ohne Netz und Schirm, dafür doppelten Boden fallen.
Ich ärgerte mich sehr über diese wirklich dummen Gedanken, denn ich wollte es geniessen und nicht irgendwelche Horrorszenarien erfinden.
Als alle ausser dem Fotografen, meinem Instruktor, dem Piloten und ich gesprungen waren, musste ich mich bereit machen. Zuerst kletterte der Fotograf aus dem Flugzeug und hielt sich ausserhalb des Flugzeugs an der Tragflächenstrebe und dem Türrahmen fest. Mit einem Fuss stand er auf dem Rad, mit dem anderen auf dem unteren Ende der Strebe. Für mich war das ein Stunt, der filmreif gewesen wäre.
Nun musste ich zu der offenen Türe rutschen (gehen ging nicht, weil das Dach zu niedrig war und ich mich auch zu unsicher fühlte) und die Füsse aus der Türe halten, damit mein Instruktor sich von hinten bei mir einhaken konnte.
Ich brauchte wirklich extrem viel Mut, dies zu tun, denn jede Faser meines Körpers wollte so weit wie möglich weg von dieser offenen Luke. Als ich schliesslich dort sass, versuchte ich zu ignorieren, dass ich noch immer nicht gesichert war und betrachtete das Panorama. Es war nicht das perfekte Wetter, ein wenig dunstig, aber trotzdem hatte ich eine gute Fernsicht. Im Norden konnte man gut die Alpen sehen. Der Blick nach unten war in diesem Moment aber fast eindrücklicher, denn man konnte den Grund wegen der geschlossenen Wolkendecke nicht erkennen. Es fühlte sich ein wenig an, wie ein Blick in die Unendlichkeit. Es war nicht zu erkennen, wohin mein Fall mich führen würde.
Als ich endlich gesichert war, stand mein Instruktor wie abgemacht auf und lehnte sich aus der Türe. Dieser Moment war atemberaubend und meine Angst war weg! Ich befand mich ausserhalb der PC-6, links von mir die schnell drehenden Propellerblätter, rechts von mir das Höhenruder (genau auf Kopfhöhe) über mir die Tragfläche, unter mir das gähnende „Nichts“ und vor mir das Schweizer Alpenpanorama!
Dann liess er los und wir flogen der Erde entgegen.
Der Sprung
Der Moment, als wir uns von der Turbo Porter lösten, war gar nicht so spektakulär. Es fühlte sich nicht viel anders an, als wenn man von einem Sprungbrett fällt. Besonders aber war, dass der Fall nicht endete und ich viel Zeit hatte, mich umzusehen. Allerdings hatte ich mit meiner Schutzbrille zu kämpfen, welche immer wieder verrutschte und ziemlich störte. Ansonsten war ich aber wirklich frei und lag in der Luft ohne irgendetwas zwischen mir und der Umwelt. Ich genoss den Moment so lange ich konnte und verspürte nicht die geringste Angst. Es war einfach nur schön! Zugegeben, es war definitiv nicht das romantische Bild eines auf den Wolken sitzenden ich’s; dafür war viel zu viel los. Die Fallgeschwindigkeit zerrte an meinen Kleidern und Brille und zudem war es sehr laut. Mir wurde gesagt, dass wir eine Fallgeschwindigkeit von weit mehr als 200km/h hatten. Das ist nicht ein ruhiger Fall, sondern ein „echt cooler Ritt“!
Als wir durch die Wolkendecke stachen, war auch dies ein sehr spezieller Moment. Denn da konnte ich sehen, wie schnell wir wirklich unterwegs waren. Wenn man keine Referenzpunkte hat, ist es fast unmöglich, ein Gefühl für die Geschwindigkeit zu bekommen. Das war mir auch bei meinem MiG-29 Flug schon aufgefallen. Damals flog ich beinahe mit der doppelten Schallgeschwindigkeit. Trotzdem war dies auf 12000 Meter beinahe wie mit einem Airliner fliegen. Es gab nichts in dieser Höhe, was wir passieren konnten, um unsere Geschwindigkeit mit einem anderen Objekt vergleichen zu können.
Als uns die Wolken verschlungen hatten, wurden wir auch fast sofort wieder ausgespuckt. Die Decke war dünn und nun konnte ich mich orientieren. Unter uns lag der Flugplatz und in weiterer Distanz konnte ich den See und Locarno erkennen.
Der freie Fall dauerte trotz der knapp 5000 Meter Höhendifferenz nur gerade einmal eine ¾ Minute. Danach öffneten wir den Schirm und wir segelten zum Flugplatz zurück.
Rückflug und Landung
Während des Rückfluges hatte wir noch Zeit ein wenig G-Kräfte zu ziehen. Dies durfte ich sogar selber tun! Man hält in jeder Hand eine Bremsleine. Je mehr man daran zieht, desto steiler wird die Kurve. Es war sehr eindrücklich, wie die G-Kräfte an mir zogen! Obwohl wir nur 3 G erreichten, war die Belastung für mich sehr hoch und auch unangenehm. Das hatte ich so nicht erwartet, denn in der MiG-29 hatte ich ein Lastenvielfaches bis 8.1 G ertragen! Erst im Nachhinein wurde mir klar, weshalb mir die Kräfte hier viel stärker vorkamen. Erstens, in der MiG trug ich einen Anti-G-Anzug, welcher in den Hosenbeinen Luftkissen auffüllte, sobald die Belastung zunahm. Das schnürt die Blutzufuhr zu den Beinen ab und verhindert, dass das Blut in die Füsse absacken kann. Das fehlte hier natürlich. Zweitens lag ich beinahe im MiG-29 Cockpit. Diese halbsitzende Position hilft ebenfalls, dass das Blut nicht allzu schnell vom Kopf in die Füsse fliesst.
Bei einem Gleitschirm hängt man aber senkrecht wie an einem Pendel. Fliegt man eine steile Kurve, so wird die Beschleunigungskraft sogar noch verstärkt, weil man aus der Flugbahn herausgezogen wird. Zieht man genug an der Bremse und vollzieht eine wirklich enge Kurve, so kann man von der senkrechten Position bald fast in die Waagerechte geschwungen werden. Ein echt cooles Erlebnis. Es ist fast wie auf einem Karussell auf Steroiden. Nur ist die Aussicht viel besser!
Als wir landeten, war ich sehr froh, dass ich es durchgezogen hatte und auch ein wenig stolz auf mich.
Es war ein Erlebnis, welches ich auf keinen Fall missen möchte und mein Begleiter hatte einen wirklich super Job geleistet!